Das Schulprogramm der Hans-Rettig-Schule (HRS)
Vorwort Das Schulprogramm der Hans-Rettig-Schule soll nicht nur eine Beschreibung des Ist-Zustandes formulieren, sondern auch Entwicklungsperspektiven aufzeigen.
Die Schule mit dem Förderschwerpunkt kranke Schülerinnen und Schüler ermöglicht erfolgreiches Lernen trotz Krankheit und damit auch den Erhalt bzw. die (Wieder-) Herstellung der schulischen Leistungsfähigkeit.
Das Lernumfeld Krankenhaus erfordert ein Höchstmaß an Flexibilität und Eingehen auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler. Im Folgenden soll dargelegt werden, wie dies derzeit umgesetzt wird und welche zukünftigen Entwicklungen möglich sind.
Die Schule für Kranke Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule gilt auch für kranke Kinder und Jugendliche. In der Krankenhausschule werden daher Schülerinnen und Schüler aller Schulformen unterrichtet und gefördert, die wegen einer Erkrankung in stationärer Behandlung in einer Klinik oder ähnlichen Einrichtungen sind und deshalb für längere Zeit ihre Heimatschulen am Wohnort nicht besuchen können.
Erziehung und Bildung in der Schule mit dem Förderschwerpunkt kranke Schülerinnen und Schüler zielen darauf ab, dass Kinder und Jugendliche, unter Beachtung ihrer eingeschränkten Belastbarkeit, möglichst den Anschluss an ihren Bildungsweg behalten.
Wenn Kinder und Jugendliche erkranken, bedeutet ein Klinikaufenthalt einen gravierenden Einschnitt in ihr Lebensgefüge, was sie nicht nur körperlich sondern auch psychisch belastet.
Durch die Erkrankung werden sie abrupt aus ihren gewohnten Beziehungsfeldern herausgerissen und finden sich in einer für sie meist beängstigend anonymen, technisierten Umgebung wieder.
Die psychischen Belastungen, die erschwerend zum organischen Krankheitsbild hinzukommen, können sehr vielfältig sein. Vorrangig sind dies Trennungsängste und Heimweh, Befürchtungen hinsichtlich schmerzhafter Behandlungen oder Operationen, Bewegungseinschränkung, Isolation und Langeweile. Dazu kommen Sorgen über den Verlauf und die Dauer einer Erkrankung. Nicht wenige Schülerinnen und Schüler machen sich auch Gedanken über ihre Schulversäumnisse und fürchten um den Verbleib im Klassenverband. Als Folge dieser belastenden Gesamtsituation kann es zu Resignation, Regression oder Aggression, Motivationsverlust und anderen psychischen Beeinträchtigungen kommen.
Die krankenpädagogische Betreuung bietet den Schülerinnen und Schülern Hilfen bei der Bewältigung ihrer erschwerten Lebenssituation an. Gleichrangig neben der Vermittlung von Unterrichtsstoff steht daher die Aufgabe, erkrankten Kindern und Jugendlichen Mut und Zuversicht zurückzugeben, um dadurch Motivation und Eigenaktivität wieder zu erwecken. Dies ermöglicht den Schülerinnen und Schülern im Optimalfall eine Reintegration in den Klassenverband, während chronisch kranke Kinder und Jugendliche lernen sollen, ihre Krankheit anzunehmen und sie in ihren Alltag zu integrieren.
Die Beschulung erfolgt gemäß den „Richtlinien für Unterricht und Erziehung kranker Schülerinnen und Schüler“ des Landes Hessen, die am 1.1.2008 in Kraft gesetzt wurden.
3.1 Entwicklung
Die Anfänge dieser Klinikschule liegen in den sechziger Jahren. Der Chefarzt der Gießener Orthopädie, Prof. Hans Rettig, bildete sich am Klinikum in Berlin fort und lernte dort eine Schule für Kranke kennen. Diese Einrichtung überzeugte ihn derart, dass er eine solche Schule auch für das Gießener Klinikum etablieren wollte. Mit Hilfe des Schulamtes gelang es ihm recht schnell, den Unterricht auch für seine kranken Schülerinnen und Schüler in dem Universitätsklinikum zu realisieren.
Anfangs wurde der Unterricht durch Lehrkräfte, die von anderen Schulen stundenweise abgeordnet waren, direkt am Krankenbett und ausschließlich in der Orthopädie erteilt. Nach einigen Jahren wurde die schulische Betreuung auf die Augenklinik ausgeweitet.
Es dauerte noch bis zum 29.10.1971, ehe die Schule als eigenständige öffentliche „Sonderschule für Kranke“ vom Land Hessen per Erlass ernannt wurde. Nun erhielt die Institution einen Schulleiter. Mehrere Lehrkräfte wurden einversetzt und unterrichteten ausschließlich an dieser Schule. Der Unterricht fand jetzt auch in der Kinderklinik und bei Bedarf in anderen Abteilungen des Klinikums statt.
Der Schule wurden ein Büro und ein Lehrerzimmer im Untergeschoss des „Haus Pitzen“, welches zur Orthopädie gehört, zur Verfügung gestellt, sowie drei Unterrichtsräume in der Kinderklinik, in denen jedoch während des Semesters auch studentische Veranstaltungen stattfanden, so dass die Klinikschule sie nicht uneingeschränkt nutzen konnte.
Im Jahre 1989 übernahm die Klinikschule dann den Namen ihres Gründers, Professor Hans Rettig. In seinem Beisein fand eine feierliche Namensgebung statt. Seither heißt die Schule Hans-Rettig-Schule (Schule mit dem Förderschwerpunkt kranke Schülerinnen und Schüler).
3.2 Aktuelle Daten und Fakten
3.2.1 Rahmenbedingungen
Die Hans-Rettig-Schule ist eine öffentliche Schule mit dem Förderschwerpunkt kranke Schülerinnen und Schüler des Landes Hessen. Sie ist im vierten Stock der Kinderklinik des Universitätsklinikum Gießen untergebracht.
Bei Bedarf können die Kliniklehrer auch von anderen Krankenhäusern in Gießen oder Umgebung angefordert werden. Die Schulträgerschaft wird zur Zeit geklärt.
3.2.2 Schülerinnen und Schüler
In den verschiedenen Abteilungen des Klinikums werden derzeit pro Woche ca. 80 Kinder und Jugendliche unterrichtet. Es werden Schülerinnen und Schüler von Grund-, Haupt-, Real- und Förderschulen, sowie Vorschulen, Gymnasien und berufsbildenden Schulen unterrichtet.
3.2.3 Lehrerinnen und Lehrer
Das Lehrerkollegium setzt sich aus Grund-, Haupt-, Real-, Gymnasial- und Förderschullehrerinnen und -lehrern zusammen.
Die Lehrkräfte werden je nach Fachbedarf auf allen Stationen im Klinikum, im „Kroki-Haus“ und auch im Hausunterricht eingesetzt; chronisch kranke Kinder mit wiederholten Kliniksaufenthalten werden möglichst immer von den gleichen Lehrkräften betreut.
3.2.4 Schulräume
Die Räumlichkeiten der Hans-Rettig-Schule (Lehrerzimmer, Sekretariat, Schulleitung und Unterrichtsraum) befinden sich im 4. Stock der Kinderklinik des UKGM. Zusätzlich steht uns ein Archivraum im 2. Stock zur Verfügung.
3.2.5 Ausstattung
Die Medienausstattung der Hans-Rettig-Schule umfasst einen umfangreichen Bestand an Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien, multimedialen Geräten (Tablets, Laptops, CD-Spieler) und wird ergänzt durch Geräte, welche die Anfertigung eigener Lernmittel ermöglichen.
Das kleine Schulbudget (KSB) und der Förder- und Freundeskreis der Hans-Rettig-Schule erlauben eine kontinuierliche Ergänzung der Grundausstattung. Der Schule steht eine Verwaltungsfachkraft mit einer halben Stelle zur Verfügung.
Der Unterricht während eines Klinikaufenthalts soll es den kranken Schülerinnen und Schülern ermöglichen, ihren Platz in der Klasse sowohl kognitiv als auch sozial-emotional aufrecht zu erhalten. Der Unterricht lenkt sie nicht nur momentan von der eigenen Krankheit ab, sondern nimmt ihnen auch die Angst vor etwaigen Lernrückständen. Dies erzeugt eine neue Motivation zur Aktivität und Selbsttätigkeit und führt sie aus der durch die Krankheit aufgezwungenen Passivität heraus. Dadurch soll ihr Selbstbewusstsein und damit zugleich ihr Wille zur Genesung gestärkt werden.
Wie aus diesen Informationen hervorgeht, stellt die pädagogische Arbeit mit kranken Kindern und Jugendlichen eine große Herausforderung dar. Sie erfordert von den unterrichtenden Lehrkräften drei wesentliche Voraussetzungen: Kompetenz, Flexibilität und Kooperation.
Unsere Arbeit, sowohl in pädagogisch-psychologischer als auch in didaktisch-methodischer Hinsicht, muss zuallererst immer die Belange der kranken Schüler in den Mittelpunkt stellen. Bei der Auswahl der Lernziele und –inhalte und bei der methodischen Vorbereitung werden die individuelle Situation des Schülerpatienten und sein jeweiliges Krankheitsbild berücksichtigt. Den Prinzipien der Individualisierung, der Differenzierung und der Selbsttätigkeit, sowie dem Einsatz von entsprechenden Lehr-, Lern- und Arbeitsmitteln kommen bei der Arbeit mit unserer Zielgruppe besondere Bedeutung zu.
Aus diesem primär patientenorientierten Ansatz leitet sich ein individuelles Unterrichten ohne Leistungsdruck her, das in seiner Unterrichtsgestaltung flexibel und ganz auf die persönlichen Bedürfnisse der einzelnen Schülerinnen und Schüler ausgerichtet ist und so nicht Gefahr läuft, die kranken Schülerinnen und Schüler zu überfordern.
Das Ziel unserer pädagogischen Arbeit ist es, etwaige Lernrückstände zu vermeiden bzw. aufzuarbeiten. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf den Hauptfächern (Mathematik, Deutsch, Fremdsprachen). Da aber der Unterricht am Krankenbett in konzentrierter Weise einen intensiven Kontakt zum Lehrer und eine ebenso intensive Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsstoff bietet, fokussiert sich unsere Arbeit nicht allein auf die Akzentuierung kognitiver Lernleistungen, sondern stellt vielmehr eine Gesamtkonzeption dar, die mindestens ebenso stark den affektiven und sozialen Bereich integriert.
Angestrebt wird ein möglichst paralleles Arbeiten zum jeweiligen Klassenunterricht der Heimatschule, wodurch die spätere Reintegration erleichtert werden soll. In dieser Krankenhausschule, die an einer Akutklinik angegliedert ist, findet überwiegend Einzelunterricht am Krankenbett statt. In bestimmten Situationen ist Unterricht in den Schulräumen (siehe Kroki-Haus und psychosomatische Station für Kinder und Jugendliche) möglich, aber auch hier wird das Lernen in der Kleingruppe angestrebt, um soziale Kontakte mit anderen Schüler, die sich in der gleichen Ausnahmesituation befinden, zu bieten. Dabei ist auch Platz für eine notwendige Wiederholung oder Vertiefung von bisher Gelerntem in Form einer individuellen Nachhilfe. Oft kann dabei Interesse oder neue Motivation an bestimmten Fächern oder Themen geweckt werden.
Besonders wichtig ist der regelmäßige Kontakt zur Heimatschule, und hier besonders zum Klassenlehrer. Im Rahmen dieser intensiven Kommunikation erfolgt ein beiderseitiger Austausch von Berichten über den Unterricht und die Leistungen der jeweiligen Schülerinnen und Schüler bis hin zur Einbindung des Kranken in die regulären Leistungsüberprüfungen, die von unseren Lehrkräften stellvertretend vorgenommen werden. Für die Lehrerinnen und Lehrer der Hans-Rettig-Schule bedeutet dies, dass sie sich mit vielen verschiedenen Lehrwerken aus unterschiedlichen Bundesländern oft kurzfristig vertraut machen müssen – eine arbeitsintensive, jedoch sehr interessante pädagogische Herausforderung.
Weitere Angebote sind die krankheitsbedingt eventuell notwendig werdende Schullaufbahnberatung und die Hilfe beim Schulwechsel sowie die Unterrichtung zu Hause, falls die Schülerinnen und Schüler auch nach der Entlassung aus der Klinik die Schule längere Zeit noch nicht wieder besuchen können. Wohnt das Kind in der näheren Umgebung der Klinikschule, so wird der Hausunterricht von unseren Lehrkräften übernommen. Andernfalls kümmert sich die Hans-Rettig-Schule um die Vermittlung eines Hausunterrichts indem Kontakt zu dem jeweils zuständigen Schulamt aufgenommen wird.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass für die Lehrerinnen und Lehrer eine gute, durch Kompetenz und Kooperation erworbene Kenntnis der Individuallage des jeweiligen Kindes die wichtigste Voraussetzung für die angestrebte intensive Individualversorgung ist. Vermag sich die Pädagogin oder der Pädagoge dann noch flexibel auf die persönlichen Bedürfnisse der bzw. des kranken Schülerinnen und Schüler einzustellen, kann er weit über seine schulstoffrelevante Arbeit hinaus in einem ganz erheblichen Maße einen Beitrag zur gesundheitlichen Besserung und Genesung des kranken Kindes leisten.
5.1 Lehrplan
Über die Teilnahme am Unterricht entscheidet der Arzt nach medizinischen Gegebenheiten. Die Themenauswahl richtet sich nach den Lehrplänen der Heimatschulen der Schülerinnen und Schüler.
5.2 Unterrichtsfächer und Unterrichtszeiten
In der Regel werden die Schülerinnen und Schüler in den Kernfächern Deutsch, Mathematik, Englisch, Französisch und Latein unterrichtet. Bei besonderem Bedarf werden auch weitere Fächer von den Kolleginnen und Kollegen der Hans-Rettig-Schule abgedeckt. Der Unterricht findet zwischen 9.00 Uhr und 14.30 Uhr statt, wobei sich Zeit und Dauer des Unterrichts nach der individuellen Befindlichkeit und Anwesenheit des Kindes richtet. In Absprache mit den Schülerinnen und Schülern ist Unterricht auch ab 8.00 und nach 14.30 Uhr möglich. Eine Lerneinheit in einem Fach dauert normalerweise ca. 30 bis 90 Minuten, sie kann aber auch wesentlich kürzer sein oder in Ausnahmefällen verlängert werden.
5.3 Leistungsbewertung
Je nach Krankheitsdauer werden die Leistungen der Schülerin oder des Schülers, gemäß den Vorgaben der geltenden Richtlinien, entweder in einem Kurzbericht, einer ausführlichen Beurteilung und / oder durch eine Note bewertet. Die von den Lehrkräften der Klinikschule erteilten Noten und Berichte werden an die Heimatschule der Schülerinnen und Schüler weitergeleitet.
5.4 Hausaufgaben
Art und Umfang der Hausaufgaben richten sich nach den Unterrichtsinhalten und der Belastbarkeit der Schülerinnen und Schüler.
6.1 Klinikunterricht
Der Unterricht in der Klinik findet vorwiegend als Einzelunterricht am Krankenbett im Zimmer der Schülerpatienten statt. Die Inhalte des Unterrichts orientieren sich am Stoff der Heimatschule. Entweder bearbeiten die Lehrkräfte der Hans-Rettig-Schule die Materialien, die die Schülerin oder der Schüler mitbringt, bei längeren Klinikaufenthalten nehmen die Lehrerinnen und Lehrer Kontakt zu den Heimatschulen auf und lassen sich Materialien (auch Klassenarbeiten) zusenden. Der Unterricht kann generell auf allen Stationen der UKGM stattfinden. Vorwiegend unterrichten wir aber auf 4 Stationen der Kinderklinik, der Psychosomatik und im Kroki-Haus.
Station Peiper
Auf dieser Station liegen Kinder und Jugendliche mit hämatologischen oder onkologischen Erkrankungen. Diese Schülerinnen und Schüler haben oft lange Therapien und sind physisch und psychisch stark belastet.
Station Czerny/Kinderherz-Zentrum
Hier werden Kinder und Jugendliche mit Herzerkrankungen behandelt. In Gießen finden auch Herztransplantationen statt. Solche Kinder und Jugendliche warten häufig über Monate auf dieser Station oder auf der Kinder-Intensiv-Station auf ein Spenderorgan. Auch diese Schülerinnen und Schüler sind in der Regel körperlich und seelisch in extrem schwierigen Situationen.
Station Koeppe
Hier werden die Kinder und Jugendliche betreut, die aufgrund von Diabetes, Mukoviszidose und anderen chronischen Erkrankungen immer wieder zu Kontrollen und Medikamenteneinstellungen in die Klinik kommen müssen. Aber auch Kinder nach Unfällen/Operationen und Kinder mit Infektionskrankheiten werden hier behandelt.
Station Pfaundler
Hierbei handelt es sich um die Neuropädiatrie der Kinderklinik. Die Schülerinnen und Schüler auf dieser Station haben in der Regel neurologische Erkrankungen, oft mit fortschreitender Problematik und zum Teil mit geistigen Retardierungen.
Stationen in anderen Bereichen des UKGM
Auch in allen anderen Bereichen der Klinik unterrichten wir schulpflichtige Kinder und Jugendliche. Gelegentlich unterrichten wir Schülerinnen und Schüler in der Orthopädie und der Frauenklinik, aber auch in der Chirurgie, der Augenklinik oder der Hautklinik.
6.2 Unterricht auf der psychosomatischen Station (Brosig)
Bei besonderen psychosomatischen Fragestellungen bietet die UKGM eine stationäre, pädiatrisch-psychosomatische Komplextherapie mit intensiver therapeutischer Einzelbetreuung an. Bei dieser Behandlung werden die Patient/innen durch ein multiprofessionelles Team aus Ärzten, Psychologen, Kunsttherapeuten, Pädagogen, Pflegepersonal und weiteren Spezialtherapeuten auf der neuen Kinderpsychosomatischen Station mit 11 Betten betreut. Die Dauer der Komplextherapie beträgt in der Regel vier bis acht Wochen mit weiteren Verlängerungsoptionen. Regelmäßige körperliche Untersuchungen und zusätzliche Angebote, wie etwa Familien- und Einzeltherapien sollen dazu beitragen, dass den Schülerinnen und Schüler ein selbstverantwortlicher Umgang mit der psychosomatischen Erkrankung und somit ein weitgehend beschwerdefreies Leben im familiären und schulischen Alltag mit der Erkrankung möglich ist.
Diese PatientInnen erhalten täglich durch die Lehrkräfte der Hans-Rettig-Schule Unterricht. Der Unterricht findet zwischen 9 und 11:10 Uhr statt. Drei Lehrkräfte unterrichten in dieser Zeit in Kleingruppen (2 – 3 Schülerinnen und Schüler) die Fächer Mathematik, Deutsch und Englisch. Unterrichtet werden alle Schulformen von der Förderschule bis zum Gymnasium und alle Klassenstufen (1 – 13. Schuljahr). Täglich werden die Schülerinnen und Schüler in zwei Fächern unterrichtet, so dass sie pro Woche 3 – 4 Stunden pro Fach haben. Französisch und Latein – Unterricht findet nach Absprache im Einzelunterricht statt. Ebenso schreiben die Schülerinnen und Schüler nach Absprache mit Lehrerinnen und Lehrern der Heimatschule und Ärztinnen und Ärzten Klassenarbeiten. Die Schüler und Schülerinnen besuchen in der Regel die Sekundarstufe I und II. In Ausnahmefällen nimmt die Station auch Patientinnen und Patienten im Grundschulalter auf. Diese werden dann von einem Grundschullehrer der Hans-Rettig-Schule unterrichtet.
Der Unterricht findet in zwei Räumen der Psychiatrie statt, die auch für weitere Zwecke genutzt werden. Um den Schülerinnen und Schülern einen möglichst ähnlichen Alltag wie zu Hause zu bieten, ist es wichtig, dass sie ihre Station zum Unterricht verlassen. Deutsch und Mathematik werden in einem Raum und Englisch separat im anderen Raum unterrichtet. Gleich nach der stationären Aufnahme der Schülerinnen oder des Schüler kontaktiert die Hans-Rettig-Schule die jeweilige Heimatschule, um die aktuellen Unterrichtsinhalte in den Hauptfächern zu erfragen. Damit soll gewährleistet werden, dass die Inhalte des Unterrichts auf der Station weitgehend mit denen der Heimatschule übereinstimmen. Oftmals ist der Schulbesuch der Heimatschule für die Schülerinnen und Schüler der Station eine große Belastung. In diesem Fall findet eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den Lehrerinnen und Lehrern der Heimatschule und den Lehrkräften der Hans-Rettig-Schule sowie Ärztinnen und Ärzten der Station statt. Am Ende dieses Aufenthalts organisiert die Hans-Rettig-Schule einen runden Tisch, an dem oftmals auch Vertreter außerschulischer Einrichtungen (z.B. Jugendamt) teilnehmen. Ziel dieser runden Tische ist es, eine möglichst unproblematische Rückkehr in die Heimatschule oder den Wechsel in eine andere Schule zu ermöglichen.
Nach Beendigung des Klinikaufenthaltes erhalten die Lehrerinnen und Lehrer der Heimatschulen Berichte über die erarbeiteten Themen einschließlich einer Leistungsbeurteilung.
6.3 Unterricht mit chronisch kranken Kindern/Jugendlichen in der JHE „KroKi-Haus“
Seit April 2016 unterrichten Lehrkräfte der Hans-Rettig-Schule im KroKi-Haus in der Lilienthalstr. 4 in 35394 Gießen.
Das KroKi-Haus ist eine vollstationäre Einrichtung der Jugendhilfe für 12 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit chronischen Erkrankungen. Es bietet Betroffenen und deren Familien einen Neuanfang in einer psychosozialen Krise. Die intensive pädagogisch-therapeutische Förderung mit familienpsychosomatischem Hintergrund soll - soweit möglich - eine Reintegration in die Herkunftsfamilie anbahnen. Es werden von der Hans-Rettig-Schule die Kinder und Jugendlichen unterrichtet, die aufgrund ihrer individuellen Situation noch keine Regelschule besuchen können. Ziel ist es jedoch, alle Schülerinnen und Schüler in den Regelunterricht einer allgemeinbildenden Schule zu integrieren.
Der Unterricht findet in kleinen Gruppen vormittags und nachmittags an drei Tagen in der Woche in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch statt. Der Unterricht am Vormittag wendet sich also an die Kinder und Jugendlichen des KroKi-Hauses, die schulpflichtig sind und die perspektivisch wieder eine Regelschule besuchen sollen.
Der Vormittagsunterricht gibt den Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, Defizite aufzuarbeiten und Versäumnisse aufzuarbeiten. Er soll das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und das Vertrauen in Lehrkräfte wiederherstellen und somit einen Regelschulbesuch vorbereiten.
Zur Zeit findet der Vormittagsunterricht dienstags, mittwochs und donnerstags jeweils von 8.15 bis 11:00 Uhr statt und wird von zwei Lehrkräften parallel erteilt. Jugendliche und junge Erwachsene, die entweder schon einen Schulabschluss haben oder aufgrund ihres Alters nicht mehr schulpflichtig sind, können an dem Unterricht teilnehmen, sofern dies den Lehrkräften sinnvoll erscheint und die Teilnahme unproblematisch ist. Bezüglich des Zeitpunkts und der Art und Weise, zu dem eine Wiedereingliederung in den Regelschulbetrieb stattfinden kann, findet ein regelmäßiger Austausch zwischen dem KroKi - Team und den Kolleginnen und Kollegen der HRS statt. Bei Bedarf finden begleitende Maßnahmen, wie z.B. Aufnahmegespräche mit Verantwortlichen der aufnehmenden Regelschulen oder Unterrichtsbegleitungen an die in Frage kommenden Regelschule, statt.
Zum Ende eines Schulhalbjahrs schreiben die Lehrkräfte Unterrichtsberichte, in denen Arbeits- und Sozialverhalten und Lerninhalte beschrieben werden. Diese können bei einer anstehenden Wiedereingliederung in die Regelschule herangezogen werden.
Seit September 2016 gibt es nachmittags im KroKi Haus ein Förder- und Unterstützungsangebot durch die Hans-Rettig-Schule.
Das Ziel dieses Angebots ist es, die Schülerinnen und Schüler, die eine Regelschule besuchen, bei der Bewältigung ihrer individuellen schulischen Herausforderungen (z. B. verpasste Lerninhalte, Vorbereitungen auf Klassenarbeiten oder bevorstehende Prüfungen) zu begleiten und zu unterstützen.
Die Schülerinnen und Schüler, die eine Regelschule besuchen, können dieses Angebot bei Bedarf abrufen. Hierzu muss die entsprechende Lehrkraft am Tag zuvor benachrichtigt werden und bestenfalls sollte auch eine inhaltliche Absprache erfolgen. Derzeit unterrichten und fördern drei Lehrkräfte der Hans-Rettig-Schule im Kroki-Haus.
6.4 Hausunterricht
Rechtliche Grundlagen
Gemäß § 54 Abs. 6 HSchG und § 29 der Verordnung über Unterricht, Erziehung und sonderpädagogische Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen und Behinderungen (VOSB) kann häuslicher Sonderunterricht beantragt werden, wenn die Schülerin/der Schüler infolge einer längeren Erkrankung von mehr als sechs Wochen im Schuljahr die Schule nicht besuchen kann.
Vollzeithausunterricht
Für Schülerinnen und Schüler, die den Unterricht mindestens sechs aufeinanderfolgende Wochen vollständig versäumen werden, kann ein Antrag auf Vollzeit-Hausunterricht gestellt werden. Die wöchentliche Unterrichtszeit hierbei beträgt 6-8 Unterrichtsstunden. In Absprache mit der/dem jeweiligen Schülerinnen/Schüler bzw. den Eltern/Erziehungsberechtigen kann der Unterricht am Vormittag stattfinden. Die Unterrichtszeit wird dabei individuell auf die Bedürfnisse und Therapie- und Behandlungspläne des erkrankten Kindes abgestimmt.
Teilzeithausunterricht
Für Schülerinnen und Schüler die voraussichtlich den Unterricht während eines Zeitraumes von mindestens 6 Wochen in einem Schuljahr nur teilweise besuchen werden, kann ein Antrag auf Teilzeit-Hausunterricht gestellt werden. Die wöchentliche Unterrichtszeit hierbei beträgt 2-4 Unterrichtsstunden. Der Teilzeit-Hausunterricht findet üblicherweise am Nachmittag statt, damit ein teilweiser Besuch der Heimatschule parallel möglich ist. Die Unterrichtstermine legen die Lehrkräfte in Absprache mit den Schülerinnen und Schüler und deren Eltern fest.
Praktische Umsetzung der häuslichen Sonderunterrichte an der Hans-Rettig-Schule
Die Lehrerinnen und Lehrer der Hans-Rettig-Schule informieren und beraten alle Eltern und Schülerinnen und Schüler (unabhängig von deren Wohnort) bei erkennbarem Bedarf über die Möglichkeiten der Inanspruchnahme von häuslichem Sonderunterricht in Teilzeit oder Vollzeit.
Schülerinnen und Schüler die im Einzugsbereich des Staatlichen Schulamts Gießen und Vogelsberg wohnen
Die Lehrerinnen und Lehrer der Hans-Rettig-Schule teilen Eltern und Schülerinnen und Schülern die entsprechenden Antragsformulare aus. Der vollständig ausgefüllte Antrag wird über das Sekretariat der Hans-Rettig-Schule beim Staatlichen Schulamt für Gießen und den Vogelsbergkreis eingereicht. Das Staatliche Schulamt bewilligt den Hausunterricht und weist ihn zur Ausführung der Hans-Rettig-Schule zu. Die Kolleginnen und Kollegen der Hans-Rettig-Schule übernehmen den Hausunterricht. Falls der Wohnort der Schülerinnen oder des Schüler aufgrund der Entfernung und des damit verbundenen zeitlichen Aufwandes nicht zu leisten ist, entwickelt die Schulleitung der Hans-Rettig-Schule mit der Schulleitung der Heimatschule Alternativen. Bei Bedarf kann der häusliche Sonderunterricht verlängert oder in Teilzeit fortgeführt werden.
Schüler und Schülerinnen die im Einzugsbereich eines anderen Schulamts oder Bundeslandes wohnen
Anträge für Schülerinnen und Schüler aus weiter entlegenen Wohnorten in Hessen oder aus anderen Bundesländern werden von den Kollegen der Hans-Rettig-Schule nach den jeweils gültigen rechtlichen Grundlagen in die Wege geleitet. Falls die Schülerinnen und Schüler während der Therapie teilweise in der Hans-Rettig-Schule, teilweise im häuslichen Sonderunterricht beschult werden, stehen die Kolleginnen und Kollegen der Hans-Rettig-Schule im Kontakt mit den Hausunterrichtslehrkräften, um die Kontinuität des Unterrichts zu gewährleisten.
Sonderformen des häuslichen Sonderunterrichts
In Anlehnung an die Richtlinien für den Unterricht und die Erziehung von kranken Schülerinnen und Schülern ist die Gewährung häuslichen Sonderunterrichts im Falle von Schulabsentismus kritisch abzuwägen und zu hinterfragen. Informationen in diesen Sonderfällen erhalten betroffene Eltern direkt beim Staatlichen Schulamt oder der Schulleitung der Hans-Rettig-Schule.
Die Lehrerinnen und Lehrer der Heimatschulen werden in die Arbeitsweise der HRS miteinbezogen:
• Die Lehrkräfte der HRS nehmen telefonischen oder auch persönlichen Kontakt zu den Klassen- und Fachlehrern der Schülerinnen und Schüler auf
• Bei diesen Gesprächen werden der zu behandelnde Lernstoff oder auch eventuelle stoffliche Lücken der Schülerinnen und Schüler ermittelt.
• Lehrerinnen und Lehrer, denen die Arbeitsweise der HRS bekannt ist, geben den Schülerinnen und Schüler Unterrichtsmaterialien bzw. Arbeitsblätter mit. • Die täglichen Schul- und Hausaufgabenstellungen können der HRS zugefaxt oder gemailt werden.
• Das Gleiche gilt für Klassenarbeiten, die an der HRS unter Aufsicht einer Lehrkraft geschrieben und zur Korrektur an die Stammschulen zurückgeschickt werden.
Supervision
Aufgrund der oft sehr belastenden Arbeit mit schwerkranken Kindern und Jugendlichen ist es geplant, eine Supervision für das Kollegium durchzuführen.
Vernetzung mit anderen Schulen für Kranke
Ein Austausch zwischen den verschiedenen Schulen unserer Schulform ist unumgänglich, da jede Schule Besonderheiten aufweist und es notwendig ist, andere bzw. weitere Organisationsformen kennenzulernen und eventuell zu übernehmen. Vernetzung bedeutet in diesem Zusammenhang auch, dass Kolleginnen und Kollegen sich gegenseitig besuchen und ihre spezielle Arbeitweise vorstellen. Zudem sollten Fortbildungsveranstaltungen im Rahmen von SchuPs und Hope regelmäßig von Kolleginnen und Kollegen besucht werden.
Info-Mappe
Besonders für Kolleginnen und Kollegen, die neu an der Hans-Rettig-Schule anfangen, ist es notwendig, die Besonderheiten des Unterrichts und Schulverwaltung kennenzulernen. Dafür ist eine Info-Mappe, die regelmäßig überarbeitet wird, vonnöten.
Kontinuierliche Fortbildung im Bereich der Krankenpädagogik und der Medizin
Das Kollegium der Hans-Rettig-Schule setzt sich zum Ziel, regelmäßig Fortbildungen durchzuführen, die den speziellen Anforderungen der Krankenpädagogik entsprechen.